Galenik: die Kunst der Verpackung

 

Damit ein Arzneistoff helfen kann, muss er an die richtige Stelle im Körper gelangen. Das ist gar nicht so einfach

Manchen Migräne-Patienten helfen normale Tabletten nicht. Bei ihnen verschließt sich im akuten Anfall der Magenausgang. Egal welches Schmerzmittel sie nehmen, es bleibt im Magen liegen und gelangt daher nicht vom Darm aus in den Körper. „Das Problem kann eine spezielle Tablette lösen, die bereits im Mund zerfällt, sodass der Wirkstoff über die Mundschleimhaut aufgenommen wird“, erklärt Professor Jörg Breitkreutz vom Institut für pharmazeutische Technologie der Universität Düsseldorf.

Drug ProductionSein Fachgebiet ist die Galenik: die Kunst, einen Wirkstoff zu einem anwendbaren Arzneimittel zu machen. Diese Disziplin ist fast so alt wie die Medizin selbst. Benannt wurde sie nach dem griechischen Arzt Galenos von Pergamon. Er war Leibarzt Marc Aurels und lebte von etwa 129 bis 216 nach Christus. Galeniker kombinieren die eigentlichen Wirkstoffe eines Arzneimittels mit sogenannten Hilfsstoffen, sodass schließlich eine Salbe, ein Saft, eine Tablette oder eine Salbe entsteht.

Bewusste Verzögerung

Moderne Hilfsstoffe sind jedoch weit mehr als beliebige Trägersubstanzen. Sie entscheiden mit darüber, wie rasch, wie lange und wie stark ein Arzneistoff wirkt. Neben den erwähnten speziellen Arzneiformen mit extraschneller Wirkung gibt es Retard- oder Depotpräparate, die den Wirkstoff verzögert freisetzen. Dadurch muss der Patient nur ein- bis zweimal pro Tag an sein Medikament denken.

Vor allem für chronisch kranke Menschen mit Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes ist das ein Segen, denn sie haben keine Beschwerden, die sie an die Krankheit und die Medikamenteneinnahme erinnern. „Retardierung ist aber nicht nur ein Komfort-Aspekt. Die verzögerte Freisetzung sorgt für gleichmäßigere Wirkstoffspiegel im Blut. Das verbessert die Verträglichkeit und hält die Blutdruckwerte langfristig im angestrebten Bereich“, sagt Apotheker Thomas Benkert, Pharmazierat und Vizepräsident der Bayerischen Landesapothekenkammer.
Probleme bei Senioren 

Für Erwachsene mittleren Alters erfüllen Tabletten, Kapseln und Dragees alle Anforderungen. Weil diese Arzneiformen zudem sehr preisgünstig herzustellen sind, dominieren sie nicht nur den heutigen Arzneimittelmarkt. Nach Expertenmeinung werden auch noch in 20 Jahren die meisten Patienten damit behandelt werden.
Doch eignen sich diese einzeln dosierten „peroralen“ Arzneiformen (lateinisch „peroral“ = durch den Mund) nicht für alle Menschen optimal. Vor allem Kinder haben Probleme damit. Auch für Hochbetagte sind Tabletten und Co. alles andere als ideal. Hier suchen Forscher wie Breitkreutz nach Alternativen. „Ältere Menschen können aus verschiedenen Gründen Probleme mit dem Einnehmen von Tabletten haben“, erklärt der pharmazeutische Technologe. Viele leiden an Mundtrockenheit, und es fällt ihnen schwer, große Tabletten zu schlucken.
Wie groß der Leidensdruck ist, sieht man auch an der Vielzahl von Tricks, mit denen sich Senioren zu helfen versuchen: Da werden Tabletten zerkleinert, Kapseln von ihrer Gelatinehülle befreit, Dragees zerstoßen und in den Pudding gerührt. Manchmal führen solche Manöver zum Wirkverlust, bisweilen wird es sogar für den Patienten gefährlich, etwa wenn eine zermahlene Retardtablette die gesamte Tagesdosis auf einmal freisetzt.
Leider kann kein Patient einem Arzneimittel ansehen, ob und auf welche Weise sich die Einnahme erleichtern lässt. Oft kann der Apotheker aus dem Stegreif Auskunft geben, aber in vielen Fällen wird sich auch der Arzneimittelexperte zuerst beim Hersteller erkundigen. „Auf jeden Fall müssen Patienten in der Apotheke nachfragen, bevor sie Tabletten zerkleinern oder ins Essen rühren“, warnt Benkert.

Um zu verhindern, dass die Patienten Tricks bemühen, um ihre Arznei schlucken zu können, wären Präparate sinnvoll, die man trinken kann. Deshalb ist die Trinktablette, die sich in einem Glas Wasser auflösen oder verrühren lässt, eine sehr praktische Anwendungsform.

Eine Herausforderung für die Galeniker besteht darin, dass viele Wirkstoffe sehr schlecht schmecken. Nicht immer kommen die Fachleute hier mit Aromastoffen weiter. Die Lösung des Problems besteht häufig darin, das Wirkstoffpulver mit einem Überzug zu versehen, sodass die Zunge vor dem üblen Geschmack geschützt wird. Auf diese Weise lässt sich auch eine zeitlich verzögerte Wirkung erzielen.
Trinklösungen rutschen leichter

 
Tabletten zur Herstellung von Trinklösungen helfen auch Älteren, die aufgrund von Mundtrockenheit Schwierigkeiten mit dem Schlucken haben. Bei Wirkstoffen, die sich nicht in trinkbarer Form anwenden lassen, sind speziell überzogene Tabletten eine Lösung: „Überzüge können entweder Substanzen enthalten, die den Speichelfluss anregen. Oder in ihnen stecken aufquellende Substanzen, die die Tablette auch mit einem Minimum an Mundspeichel durch die Speiseröhre rutschen lassen“, erklärt Breitkreutz.
Solche leichter schluckbaren Tabletten, an denen unter anderem seine Arbeitsgruppe forscht, erhöhen auch die Sicherheit von Medikamenten. Vor allem bei Schmerz- und Rheumamitteln drohen schwere Schäden der Speiseröhre, wenn die Tablette auf dem Weg zum Magen stecken bleibt.
Verlangsamter Abbau
Ein weiteres Problem bei der Arzneitherapie im Alter: Der Magen-Darm-Trakt arbeitet träger als bei jungen Erwachsenen. Daher ist ein Medikament länger im Körper unterwegs. „Die Folge kann sein, dass gerade Retardpräparate bei alten Patienten ganz anders wirken“, sagt Breitkreutz. Jedoch fällt die Verlangsamung der Verdauung nicht bei jedem älteren Menschen gleich aus – hier gibt es große Unterschiede. Aus diesem Grund lässt sich das Problem auch nicht durch speziell auf Senioren zugeschnittene Präparate lösen.
Nicht nur der Transport durch den Verdauungstrakt verändert sich im Lauf der Jahre. Oft verlangsamen sich auch der Abbau und die Ausscheidung von Arzneistoffen in Leber und Niere. Dadurch reicht bei einem alten Patienten meist eine niedrigere Dosis. Da es den Großteil der Wirkstoffe aber nur in einer Standarddosierung gibt, müssen gerade Senioren Tabletten häufig teilen. Problematisch daran ist nicht nur, dass die Genauigkeit zu wünschen übrig lässt, wie eine aktuelle Studie der Universität Heidelberg zeigt. „Es werden auch Tablettenstäube frei, was bei Krebsmedikamenten oder manchen Antirheumatika sehr bedenklich ist“, warnt Breitkreutz. Durch eine vermehrte Entwicklung flüssiger und damit individuell dosierbarer Arzneiformen ließe sich dieses Problem umgehen.
Arznei für Kinder

Mit einem können die Entwickler seniorengerechter Medikamente rechnen: Sie forschen für einen ständig wachsenden Markt. Bei kindgerechten Arzneiformen dagegen sieht es weniger günstig aus. „Bei vielen Arzneistoffen ist die Zahl der schwerkranken Kinder, die diese brauchen, so gering, dass sich niemand bereit findet, in eine kindgerechte Galenik zu investieren“, weiß Breitkreutz.
Deutlich besser steht es um Mittel, die Kinder häufig brauchen. Dazu zählen zum Beispiel Antibiotika gegen bakteriell bedingte Erkältungen sowie Schmerz- und Fiebermittel. Aber auch hier gibt es noch Raum für Verbesserungen, die es den Eltern erleichtern, dem Sprössling das Arzneimittel schmackhaft zu machen.
Neueste Entwicklung: ein in einen Trinkhalm verpacktes Antibiotikum. Das Kind kann es aufnehmen, indem es ein Glas seines Lieblingsgetränks durch den Halm saugt. In lateinamerikanischen Ländern ist diese originelle Lösung innerhalb kürzester Zeit zu einem Marktführer geworden.

Milchzucker dient in vielen Produkten als Füllstoff. Anderen wird Maisstärke hinzugefügt, sie sprengt die Tablette in der Feuchte des Magen-Darm-Trakts auseinander. Nach dem Pressen des Pulvers in einer Tablettenpresse erhält die Pille einen Überzug, der die Wirkstoffe schützt und das Präparat leichter schluckbar macht.

Zudem enthalten die meisten Tabletten Hilfsstoffe, die der Verarbeitbarkeit dienen: Gleitstoffe etwa sorgen dafür, dass das Pulver besser durch die Presse rieselt. Und mithilfe von Klebemitteln wird aus feinem Pulver ein grobkörniges Granulat, das sich leichter verpressen lässt. Farbstoffe schützen lichtempfindliche Wirkstoffe und erleichtern dem Patienten die Identifizierung des Arnzeimittels.

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